Klatschende Menschen auf Balkonen waren zu Beginn der Corona- Pandemie das Symbol der Wertschätzung für die Fachkräfte in Krankenhäusern und Pflegediensten und ihre Arbeit. Politikerinnen und Politiker
jeglicher Couleur betonten die Wichtigkeit des sozialen Sektors. Als es dann darum ging, die geklatschte Wertschätzung zu übersetzen in finanzielle Anerkennung, vernünftige Arbeitsbedingungen und eine auskömmliche Finanzierung der Sozialwirtschaft, flüchteten sich – wie so oft – viele EntscheidungsträgerInnen in Ausflüchte, Hinweise auf Hürden, Verantwortlichkeiten etc. pp.
Refinanzierung zieht nicht nach
Die Energiekrise nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine warf dann ein weiteres Schlaglicht auf die Defizite bei der Finanzierung von Kitas, Krankenhäusern, Einrichtungen der Pflege, der Gesundheitshilfe oder der Jugend- und Behindertenhilfe: Die Energiekosten explodierten. Die Refinanzierung durch die öffentliche Hand oder Pflege- und Krankenkassen zogen nicht nach. Die Lücke wurde und ist für viele Einrichtungen existenzbedrohend. In einer bundesweiten Umfrage des Paritätischen Gesamtverbandes sahen sich 90 Prozent der Befragten als gefährdet an. In der Folge forderten zahlreiche Sozialverbände im Herbst vergangenen Jahres separate Schutzschirme für die Sozial- und Gesundheitswirtschaft.
Kostensteigerungen bis zu mehreren Millionen Euro
Im Frühjahr 2023 ist es ein wenig ruhiger geworden in der Diskussion. Aber nach wie vor gilt: Je nach Größe der Träger drohen 2023 Kostensteigerungen nur für Energie zwischen 100.000 Euro und einstelligen Millionenbeträgen. Michael Reichelt, Vorstandsvorsitzender des Unternehmerverbandes Soziale Dienste und Bildung und gleichzeitig Geschäftsführer der Lebenshilfe Heilpädagogische Sozialdienste GmbH und der
LebensRäume Für Menschen in Duisburg gGmbH, konstatiert: „Wir sind zwingend darauf angewiesen, dass die Kostenträger wie Pflegekassen und Kommunen diese Kostensteigerungen in den Vergütungen in vollem Umfang berücksichtigen.“
Reichelt selbst hatte in Duisburg imJanuar für Schlagzeilen gesorgt, als die Lebenshilfe die Planungen für eine dringend benötigte Kita auf Eis gelegt hatte. Hier ging es nicht nur um die Folgen von Corona oder Energiekrise, sondern um grundsätzliche Finanzierungsfragen. Reichelt forderte im Januar von der Stadt Duisburg eine Entscheidung, wie sie Kitaträger künftig unterstützen wolle. Zum einen stiegen die Mieten: bei Neubauten sind 18 Euro pro Quadratmeter die neue Normalität. Das Kinderbildungsgesetz in NRW sieht aber eine Erstattung von lediglich rund 12 Euro vor. Überhaupt Sonderfall NRW: Das Landesgesetz schreibt vor, dass freie Kitaträger einen Eigenanteil an der Finanzierung von 8 Prozent zu schultern haben. Bei einer sechsgruppigen Kita seien das 80.000 Euro, sagt Reichelt. Duisburg sei eine der wenigen Städte in NRW, die Träger hier nicht unterstütze. Woher das Geld nehmen, wenn man keine Gewinne erwirtschaften dürfe?
Nach den Schlagzeilen kam dann Bewegung in die Diskussion: Im März beschloss der Jugendhilfeausschuss des Rates einstimmig eine 60-prozentige Pauschalförderung der Betriebskosten für freie Träger ab 2023. „Das geht in die richtige Richtung“, sagt Reichelt. Wie die kommunale Politik zeigt aber auch er nach Düsseldorf: „Das Land muss die Träger von den Eigenanteilen freistellen. Dann haben alle Städte die gleichen Voraussetzungen. Wir übernehmen kommunale Pflichtaufgaben und werden dafür je nach Standort unterschiedlich hoch bestraft – das kann in Zeiten, in denen Kitaplätze Mangelware sind, nicht die Lösung sein.“
Das System ist zu komplex
Die Kita-Krise in Duisburg steht stellvertretend für das Dilemma der gesamten Sozialwirtschaft: Der Dienst am Menschen ist gewollt und wird in einer alternden Gesellschaft immer stärker auch gebraucht. Aber das System drumherum ist derart komplex, dass nicht nur die Finanzierung ein steter Zankapfel auf den zahlreichen Entscheidungsebenen ist; es schreckt auch die ab, die die Arbeit machen – die Fachkräfte. „Dabei böte ein gut strukturierter sozialer Sektor so viele Chancen“, sagt Reichelt. Davon zeugt auch der erste Duisburger Sozialwirtschaftsbericht, den der ehemalige Wirtschaftsdezernent Andree Haack auf den Weg gebracht hatte. In seinem Vorwort heißt es: „Und tatsächlich, das Ergebnis zeigt, dass die Branche ein entscheidender Wirtschaftsfaktor und Beschäftigungsmotor für Duisburg ist und sich dabei durch Innovation, Kreativität und eine hervorragende Zusammenarbeit aller Beteiligten auszeichnet. Mit 14.400 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten machte die Sozialwirtschaft im Jahr 2019 insgesamt 8,2 Prozent der Gesamtheit der in Duisburg sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus und trug mit 1,2 Milliarden Euro einen Anteil von 6,6 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. Der Fiskus profitierte von einem monetären Effekt von 408 Millionen Euro.“
An der Umsetzung hapert es
Haack weiter: „Dabei unterscheidet sich die Sozialwirtschaft von anderen Branchen. Das ausdifferenzierte Dienstleistungsangebot für die Daseinsfürsorge generiert auch einen großen gesellschaftlichen Mehrwert
und steigert nicht zuletzt die Standortqualität Duisburgs. Und auch sonst stehen die Zeichen gut: Durch den demographischen Wandel wird die Sozialwirtschaft in den nächsten Jahren immer mehr an Bedeutung gewinnen. Im Report kommen unterschiedliche Duisburger Akteure zu Wort, die zu den Megatrends wie Digitalisierung und Innovation, gesellschaftlicher und sozialer Wandel oder der Komplexität von Markt und Umfeld befragt wurden. Auch hier wird deutlich, dass die partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Sozialwirtschaft, Kommune und freier Wirtschaft funktioniert, um so den Herausforderungen der Zukunft begegnen zu können.“
Michael Reichelt ist im Report als ein Duisburger Akteur zu Wort gekommen. An der partnerschaftlichen Zusammenarbeit muss nach seiner Auffassung noch gearbeitet werden. Ein wichtiger Schritt ist nun gemacht. Reichelt: „Der Bericht zeigt die Bedeutung unserer Branche für die Stadt. Aber leider ist es hier wie überall im Land: Wertschätzung ist schnell in Worte gefasst. Daraus Taten zu generieren und Chancen auch wirklich zu ergreifen, daran hapert es.“