[uv]kompetenz
Annahmeverzug: Leistung angeboten, aber nicht angenommen – wer zahlt?
Unsere Juristin beantwortet zehn Fragen zu diesem Thema.
1. Was bedeutet eigentlich „Annahmeverzug“?
Im Arbeitsrecht spricht man im Regelfall von Annahmeverzug, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung anbietet, der Arbeitgeber diese jedoch nicht annimmt. Eigentlich gilt dann der Grundsatz: „Ohne Arbeit kein Lohn“, vgl. § 326 Abs. 1 S. 1 BGB. Für den Fall der regelwidrigen Nichtannahme der Leistung durch den Arbeitgeber regelt § 615 S. 1 BGB, dass der Arbeitnehmer die Vergütung trotzdem verlangen kann, und zwar ohne die Stunden nachleisten zu müssen.
2. Welche Voraussetzungen müssen für den Annahmeverzug vorliegen?
- Es muss ein Arbeitsverhältnis bestehen,
- die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers ist vom Arbeitgeber nicht angenommen worden, obwohl sie angeboten worden ist,
- der Arbeitnehmer muss leistungswillig und leistungsfähig gewesen sein und
- der Arbeitgeber verweigert die Annahme der Arbeitsleistung zu Unrecht.
3. Welche Rolle spielt dabei der Bestand des Arbeitsverhältnisses?
Annahmeverzug kann nur eintreten, wenn ein Arbeitsverhältnis besteht bzw. fortbesteht. Der häufigste Anwendungsfall des Annahmeverzugs spielt im Kündigungsschutzprozess und insbesondere dann, wenn im Prozess die Rechtswidrigkeit der Kündigung festgestellt wird, eine Rolle. Es ist in diesem Fall zu klären, ob der Arbeitgeber verpflichtet ist, den Lohn (insbesondere für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist) zu zahlen.
4. Ist ein tatsächliches Arbeitsangebot durch den Arbeitnehmer erforderlich?
Eigentlich muss der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung anbieten, § 294 BGB. Wenn aber der Arbeitgeber die Kündigung des Arbeitsverhältnisses ausgesprochen hat und erklärt, dass er die Arbeitsleistung nicht annehmen werde, oder gar die fristlose Kündigung ausgesprochen hat, muss der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung nicht explizit anbieten. Gleiches gilt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer bereits freigestellt hat.
5. Welche Rolle spielen Leistungswille bzw. Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers?
Gibt der Arbeitnehmer zu verstehen, dass er nicht arbeiten will, oder ist er nicht in der Lage, seine Arbeit zu erbringen, kommt der Arbeitgeber nicht in Annahmeverzug. Der Leistungswille fehlt zum Beispiel dann, wenn der Arbeitnehmer äußert, „keinen Bock auf die Arbeit“ zu haben, und seine Aufgaben nicht erfüllt oder wenn er deutlich zu erkennen gibt, bestimmte Tätigkeiten nicht ausführen zu wollen. Die Leistungsfähigkeit fehlt bspw., wenn der Arbeitnehmer dauerhaft erkrankt ist oder inhaftiert ist oder (als Kundenberater) ein Hausverbot beim Kunden hat und keine anderweitige Einsatzmöglichkeit besteht.
6. Wann kann die Leistungsannahme unzumutbar oder unmöglich sein?
Bei besonders groben Vertragsverstößen kann es dem Arbeitgeber unmöglich sein, den Arbeitnehmer zu beschäftigen, bspw. in Vorbereitung einer fristlosen Kündigung aufgrund eines tätlichen Übergriffs, gefährlicher Pflege o. Ä. Die Anforderungen daran sind allerdings streng. Die Unmöglichkeit der Annahme der Arbeitsleistung liegt während einer vorübergehenden behördlichen Betriebsschließung wie zum Beispiel in der Zeit des allgemeinen Lockdowns vor.
7. Wie berechnet sich der Annahmeverzugslohn?
Bei der Berechnung gilt das Lohnausfallprinzip, d. h., dem Arbeitnehmer steht die vereinbarte Vergütung zu, die er verdient hätte, wenn er gearbeitet hätte; d. h. zum Annahmeverzugslohn gehören das Grundgehalt nebst Sozialabgaben, Zulagen, Zuschlägen, nicht jedoch Auslagen und Aufwendungen. Bei der Auszahlung des Annahmeverzugslohns sind etwaige Rechte Dritter zu beachten, wenn etwa die Agentur für Arbeit Leistungen an den Arbeitnehmer gezahlt hat.
8. Inwieweit ist anderweitiger Erwerb anrechenbar?
§ 11 KSchG besagt: „Besteht nach der Entscheidung des Gerichts das Arbeitsverhältnis fort, so muss sich der Arbeitnehmer auf das Arbeitsentgelt, das ihm der Arbeitgeber für die Zeit nach der Entlassung schuldet, anrechnen lassen, was er durch anderweitige Arbeit verdient hat bzw. was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen (…).“
9. Wann liegt Böswilligkeit in diesem Sinne vor?
Böswilligkeit liegt regelmäßig vor, wenn sich der Arbeitnehmer vorwerfen lassen muss, dass er während des Annahmeverzugs trotz Kenntnis aller objektiven Umstände – Arbeitsmöglichkeit, Zumutbarkeit und Nachteilsfolgen für den AG – vorsätzlich untätig geblieben ist. Eine Schädigungsabsicht ist nicht erforderlich. Zumutbare Tätigkeiten sind solche, die den Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen und der bisherigen Lebensstellung des Arbeitnehmers entsprechen, wobeiletztlich die Umstände des Einzelfalls entscheidend sind.
10. Gibt es eine Klagefrist und/oder Verjährung bei Annahmeverzug des Arbeitgebers?
Grundsätzlich gilt keine Klagefrist hinsichtlich Lohnnachzahlungen. Es sind allerdings etwaig geltende Ausschlussfristen z. B. aus dem Tarifvertrag oder aus dem Arbeitsvertrag zu berücksichtigen, die den Anspruch des Arbeitnehmers entfallen lassen können. Kommen keine Ausschlussfristen zum Tragen, gelten die üblichen Verjährungsfristen.
Unsere Expertin
Ansprechpartner für die Presse
Jennifer Middelkamp
Pressesprecherin
Regionalgeschäftsführung Kreise Borken | Kleve