[uv]kompetenz
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall
Unsere Juristin beantwortet zehn Fragen zu diesem Thema
1. Liegt bei jeder Krankheit auch Arbeitsunfähigkeit vor?
Nein, das ist nicht der Fall. Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung setzt voraus, dass Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit vorliegt. Der Arbeitnehmer darf infolge der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit nicht in der Lage sein, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Der Arzt ist daher gehalten, zu überprüfen, welche Arbeitsleistung arbeitnehmerseitig geschuldet wird.
2. Wann kann eine Arbeitsunfähigkeit selbst verschuldet sein?
Kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht, wenn der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit selbst verschuldet hat. Ein Verschulden liegt vor, wenn ein gröblicher Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende (gebotene) Verhalten vorliegt. Es muss ein besonders leichtfertiges, grob fahrlässiges oder vorsätzliches Verhalten vorliegen. Beispiele: AU nach Trunkenheitsfahrt oder Teilnahme an einer Schlägerei.
3. Ab wann entsteht ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung?
Nach § 3 Abs. 3 EFZG entsteht der Anspruch auf Entgeltfortzahlung erst nach vierwöchiger ununterbrochener Dauer des Arbeitsverhältnisses. Dies bedeutet, dass der Arbeitgeber in den ersten 4 Wochen des rechtlichen Bestandes des Arbeitsverhältnisses keine
Entgeltfortzahlung zu leisten hat. Danach entsteht Anspruch auf die 6-wöchige Entgeltfortzahlung.
4. Was versteht man unter der sog. „Einheit des Verhinderungsfalles“?
Hiervon spricht man, wenn während einer noch fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit eine neue Erkrankung hinzutritt, die ebenfalls Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung ist in diesem Fall auf insgesamt 6 Wochen begrenzt.
Dieses gilt nach neuer Rechtsprechung des BAG sogar dann, wenn nur ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen den AU-Zeiten, wie z.B. bei einem arbeitsfreien Wochenende, besteht. So können die zu leistenden Entgeltfortzahlungskosten zumindest auf den 6-Wochen-Zeitraum begrenzt werden.
5. Wann ist eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen?
Die Vorlagepflicht gilt noch in verschiedenen Fällen, z.B. bei privat Versicherten oder bei gesetzlich Versicherten, die nicht von einem „Kassenarzt“ behandelt worden sind.
Sie gilt jedoch inzwischen nicht mehr für Arbeitnehmer, die Versicherte einer gesetzlichen Krankenkasse sind und bei einem Kassenarzt behandelt wurden, und damit für einen Großteil der Arbeitnehmer. Diese sind verpflichtet, das Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer festzustellen und sich eine ärztliche Bescheinigung aushändigen zu lassen. Sie sind aber gerade nicht mehr zur Vorlage verpflichtet. Vielmehr muss der Arbeitgeber diese bei der jeweiligen Krankenkasse des Arbeitnehmers abrufen (eAU).
6. Was beweist die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung?
Der Arbeitnehmer ist beweispflichtig für das Vorliegen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. Dieser Beweis wurde und wird i.d.R. durch ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erbracht, die grundsätzlich einen sehr hohen Beweiswert hat. Der Arbeitgeber ist damit in aller Regel verpflichtet, Entgeltfortzahlung für den bescheinigten Zeitraum zu leisten. Will er den Beweiswert der Bescheinigung erschüttern, so muss er Tatsachen vortragen und beweisen, die ernsthafte Zweifel an der sachlichen Richtigkeit der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit begründen. Diese können sich z.B. aus dem Verhalten des Arbeitnehmers ergeben (z.B.: Vielzahl von aufeinanderfolgenden Erstbescheinigungen diverser Ärzte für kurze Zeiträume).
7. Wie kann der Beweiswert einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung noch erschüttert werden?
Ernsthafte Zweifel am Vorliegen einer Erkrankung können sich nach einer Entscheidung des BAG auch daraus ergeben, dass eine am Tag der Eigenkündigung des Arbeitnehmers ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung passgenau die nach der Kündigung noch verbleibende Dauer des Arbeitsverhältnisses abdeckt. Das BAG hat also den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in diesem Fall als erschüttert angesehen.
8. Gilt die Erschütterung des Beweiswertes nur, wenn das Arbeitsverhältnis arbeitnehmerseitig gekündigt wurde und er im direkten zeitlichen Zusammenhang erkrankt?
Nein, es ist nach einer weiteren aktuellen Entscheidung des BAG nicht entscheidend, wer das Arbeitsverhältnis gekündigt hat und ob für den Beweis der Arbeitsunfähigkeit nur eine oder mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt werden. Die einzelfallbezogene Würdigung der Gesamtumstände ist immer wichtig. Dabei ist die zeitliche Koinzidenz zwischen Kündigung und Krankmeldung ein wichtiger Umstand, der den Beweiswert eines Attests erschüttern könne. Gleiches gelte für eine passgenau bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses attestierte Arbeitsunfähigkeit, wenn unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Stelle angetreten wird.
9. Kann der Arbeitnehmer die Arbeit vorzeitig wieder aufnehmen?
In der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das voraussichtliche Ende der Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Ist der Arbeitnehmer entgegen der ärztlichen Prognose infolge der Erkrankung noch nicht wieder arbeitsfähig, so wird der behandelnde Arzt eine Folgebescheinigung ausstellen. Wenn sich der Arbeitnehmer entgegen der Prognose des Arztes im umgekehrten Fall vor dem bescheinigten voraussichtlichen Ende der Arbeitsunfähigkeit wieder in der Lage fühlt, die Arbeit wieder aufzunehmen, ist er daran nicht gehindert.
10. Was gilt, wenn ein Arbeitsverhältnis während der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers gekündigt wird?
Grundsätzlich endet die Pflicht zur Entgeltfortzahlung mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Hiervon macht jedoch § 8 des EFZG eine Ausnahme. Hiernach wird der Entgeltfortzahlungsanspruch des Arbeitnehmers u.a. nicht durch eine Kündigung des Arbeitgebers aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit berührt. Diese Regelung bezweckt, den Entgeltfortzahlungsanspruch des Arbeitnehmers zu sichern, wenn der Arbeitgeber gerade wegen der Arbeitsunfähigkeit kündigt. Die Entgeltfortzahlungspflicht reicht allerdings nicht weiter, als sie im ungekündigten Arbeitsverhältnis reichen würde. Sie endet damit grundsätzlich nach Ablauf des 6-wöchigen Entgeltfortzahlungszeitraumes.
Unsere Expertin
Heike Zeitel
Rechtsanwältin
(Syndikusrechtsanwältin)
Fachanwältin für Arbeitsrecht
Regionalgeschäftsführung Oberhausen
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Pressesprecherin
Regionalgeschäftsführung Kreise Borken | Kleve